Der Ursprung des Denkens, das der Informatik zu ihrem Siegeszug verhalf, liegt in der zunehmenden Mathematisierung lebensweltlicher Realitäten: in dem Augenblick, in dem die Menschheit zu zählen begann, war das, Grob gesprochen, die Geburtsstunde der notwendig grundlegenden Abstraktion. Alles, was an Komplexitätsreduktion folgen sollte, begann somit viele tausend Jahre vor unserer Zeit. Es vermag also kaum zu verwundern, dass die Rolle der Zahlen als Repräsentation real existierender Entitäten über die Zeit hinweg einen eigenständigen Charakter entwickelte. Viele der heute so wichtigen Kennzahlen finden ihre Entsprechung, ihr real existierendes Gegenstück nicht mehr direkt in der physischen Welt, bzw. sie sind dermaßen verwoben, dass es beinahe so wirkt, als wohnte ihnen ein regelrechter Selbstzweck inne. Ergo: die Daten, mit denen wir in der IT verfahren haben kein physisches Gewicht, sind aber dennoch – oder gerade deshalb – imstande einen gewaltigen Unterschied zu machen. Vieles, was in der heutigen Wirtschaftswelt wirklich zählt, lässt sich nicht physisch begreifen. Dabei existiert bei aller Immaterialität doch eine materielle Dimension: die Ressourcen, die für den Betrieb von Rechenzentren aufgewendet werden müssen, sind absolut vorhanden, mitunter gar zuhanden, können also von fachkundigen Individuen in einen sinnvollen Zusammenhang mit entsprechenden Resultaten gebracht werden. Je nachdem, mit welcher spezifisch fachlichen Brille auf Datensätze und die in ihnen befindlichen Informationen geblickt wird, tun sich unterschiedliche Verbindungen auf: sei es die Sichtweise der Programmierer:innen, für die bisweilen kryptisch anmutende Code-Zeilen einen bestenfalls kohärenten Sachverhalt abbilden, sei es jene der Sales Operatives, für die bestimmte Kennzahlen auf makroökonomische Trends hinzuweisen vermögen und damit bestimmte Anschlusshandlungen verwahrscheinlichen, sei es jene der Big Data Analyst:innen,die sich anschicken, bedeutungsschwangere Korrelationen aus partikularen und scheinbar willkürlichen Nutzungsdaten herauszulesen. Jeder noch so idiosynkratische Blick auf den kontemporären Datenwust kommt gepaart mit einer nicht unwesentlichen Referenz auf lebensweltliche Umstände daher. Es geht in der Datenwelt also niemals rein selbstreferenziell zu! Immer und überall sind Übersetzungsprozesse am Werk, die mal mehr mal weniger subtil zu einer Kursänderung raten. Das Problem mit den ihrerseits immateriellen Bits & Bytes ist, dass ihre materiellen Gegenstücke – die Dinge, auf die referiert wird – allzu häufig in den Hintergrund rücken und die nummerische Qualität des Ganzen ins Rampenlicht drängt.
„In einer Welt, in der Kontemplation allzu häufig als hinderlich oder gar „kontraproduktiv“ charakterisiert wird, bedarf es – von Zeit zu Zeit – einer offensiven Hinwendung zu vermeintlich absurden Theoriekonstrukten, denen die Kraft innewohnt, den geradlinigen Lauf der Dinge zu stören, um die Gefahr des Sich-Verrennens zu minimieren.“
Mit der zunehmenden Tendenz zur vollständigen Normierung der Gegenwart verschärft sich der Trend zur Fetischisierung datengetriebener Weltentwürfe ebenfalls ungemein. Die Komplexitätsreduktion, die durch diese Verfahrensweise in Aussicht gestellt wird, ist letztlich höchst trügerisch: denn wenngleich der Wunsch nach einem höheren Maß an Nachvollziehbarkeit hinsichtlich zu treffender Entscheidungen ein hehres Ziel darstellt, gibt es doch eine Gefahr, die sich in der Abstraktion verbirgt. Die zunehmende Marginalisierung teilweise mikroskopischer Differenzen ist Teil einer solch entfremdenden Dynamik. Wie der britische Romancier Herbert George Wells es in seinem Essay The Rediscovery of the Unique aus dem Jahr 1891 so schön auf den Punkt bringt, ist der Standpunkt, von dem aus wir geneigt sind, die Welt zu betrachten, ein solcher, der die feinen Unterschiede zugunsten einer generellen Idee von Funktionalität zu revidieren versucht. Für Wells ist indes eines klar: „All being is unique, or, nothing is strictly like anything else.” Sogar genormte Produkte unterscheiden sich, dieser Sichtweise entsprechend, im Kleinen teils gravierend: „we only arrive at the idea of similar beings by an unconscious or deliberate disregard of an infinity of small differences”.
Warum wende ich mich in diesem Beitrag einem solchen Standpunkt zu? Nun, die Tendenz, die Wells bereits Ende des 19. Jahrhunderts beobachten konnte, hat sich im Zuge der akzelerierenden Digitalisierung noch verschärft und Kritik an einer solchen Geisteshaltung bleibt weiterhin angebracht! In einer Welt, in der Kontemplation allzu häufig als hinderlich oder gar „kontraproduktiv“ charakterisiert wird, bedarf es – von Zeit zu Zeit – einer offensiven Hinwendung zu vermeintlich absurden Theoriekonstrukten, denen die Kraft innewohnt, den geradlinigen Lauf der Dinge zu stören, um die Gefahr des Sich-Verrennens zu minimieren.
Wenngleich also Bits & Bytes die Welt von heute zu regieren scheinen, tun sie dies doch immer mit einer Referenz auf materielle Entitäten! Ohne die Existenz von Stock und Stein wären sie wohl kaum in der Lage, etwas Sinnvolles auszusagen, was im Umkehrschluss unsere massive Verantwortung für die Umwelt betont. Ressourcen sind endlich und so sind auch die emphatisch immateriellen Referenzen limitiert.